XAVIER NAIDOO
(Interview, ME/Sounds 06/99)
NICHT VON
DIESER WELT
EIN
GETRIEBENER ZWISCHEN BEATS UND
BIBEL
Grüß Gott!
(lacht)
"Wenn ich ihn sehe" - das sagt man dann doch immer?
Ist aber eine schöne
Begrüßungsformel - primär
südlich des Schwarzwaldes und hinüber
nach Bayern in die gottesfürchtigen Gegenden,
beim Pietkong.
Klingt, als hättest du
Probleme mit den Pietkong-Führern - Papst,
Bischöfe, Kardinäle?
Generell bin ich eher
mißtrauisch. Ich versuche meinen Glauben rein
zu halten und keine Religionen mit
einzubeziehen.
Glauben denn nicht alle Menschen
im Grunde an den gleichen Gott?
Nein! Ich bin Christ. Ich glaube an
Jesus Christus und an seinen Vater. Es ist ja auch
nicht uninteressant, wie ich dich nenne. Auch du
willst bei deinem Namen genannt werden. Wenn der
Name meines Gottes Allah wäre, dann hätte
er keinen Sohn. Das ist nicht mein Gott, da gibt es
nichts zu diskutieren.
Während deines
Zivildienstes bist du aus Langeweile auf die Bibel
gestoßen. Und wenn nun zufälligerweise
eine deutsche Koran-Übersetzung herumgelegen
hätte?
Ich glaube nicht, daß mich
der Koran derart fasziniert hätte. Dort, wo
ich die Bibel aufgeschlagen habe, war das, was ich
da gelesen habe, so aktuell, daß es auch eine
Reportage gewesen sein könnte.
Hattest du dich vor dieser Zeit
schon mit Glauben beschäftigt?
Wie alle, war auch ich im Angesicht
des Milleniums auf der Suche. 1993 bin ich
fündig geworden. Zuvor hatte ich vieles in
Betracht gezogen. Vieles, was ich jetzt verurteile
- Wahrsagerei, Astrologie.
Duldest du wenigstens, daß
andere Menschen an einen anderen Gott
glauben?
Das erlaubt mir meine Erziehung:
Ich habe immer Respekt vor dem anderen Menschen.
Aber er wird mir niemals erzählen können,
daß sein Gott über meinem steht. Jeder
Moslem wird sich mit mir darüber vortrefflich
streiten können - warum soll ich das nicht
auch tun? Für mich ist das ein legaler
Wettstreit der Religionen, der nun kurz vor der
Entscheidung steht.
Wie im Kosovo, oder in den
Kreuzzügen?
Ich will kein Blut. Ich setze meine
Musik als legale Waffe ein. Meine rechte Hand
schreibt meine Texte - und die sind gesalzen. Ich
habe etliche Texte noch nicht veröffentlicht,
weil ich weiß, daß sie zu kraß
rübergekommen wären.
Zu kraß?
Man kann ja noch deutlicher werden.
Ich habe ein Lied geschrieben, das "Atlantis ist
Amerika" heißt. Darin will ich erklären,
was ich konkret aus der Bibel herauslesen kann:
Amerika geht unter.
Amerika ist Babylon?
Nicht nur Amerika. Auch Frankfurt
ist Babylon, London und Tokio. Babylon ist
überall. Aber Amerika und Tokio sind ganz oben
auf der Abschußliste.
Bist du da ganz
sicher?
Ich habe mein Wissen. Ich sehe mich
als jemanden, dessen Berufung es ist, solche Dinge
zu sagen.
Ist Mannheim auch
Babylon?
Nein. Aber es gibt Anfänge,
wie den Fernsehturm, der am Neckar steht.
(lacht)
Ist technischer Fortschritt
nicht gottgewollt?
Doch. Alles kommt von Gott. Neulich
hat ein Bischof gesagt: "Gott ist nicht im
Internet." Das ist falsch. Dann wäre er auch
nicht in unserer Computermusik. Gott ist
überall. Alles hat zu seiner Zeit seine
Bestimmung. Jeder verheerende Sturm, jedes
Stück Metall.
Stimmt es, daß du noch bei
deiner Mutter wohnst?
Ich wohne gemeinsam mit meiner
Freundin im selben Haus, zwei Stockwerke über
meiner Mutter.
Wie reagierte deine Mutter auf
deine Bekehrung?
Sehr verstört, natürlich.
In den ersten Jahren war das für sie ein rotes
Tuch, weil sie sich von mir diverse Angriffe auf
die Kirche anhören mußte. Ich kreide der
Kirche an, daß sie nur einmal pro Woche ein
einzelnes Zitat aus der Bibel im Gottesdienst
behandelt. Aber diese Zitate sind irreführend,
weil sie aus dem Zusammenhang herausgerissen
werden.
Bist du bibelfest?
Ich muß gestehen, daß
ich zu faul bin, alles auswendig zu lernen. In der
Bibel steht aber auch, daß du nicht in Zungen
sprechen sollst, wenn du es nicht übersetzen
kannst. Es ist doch wichtiger, zu wissen, wovon man
spricht. Verstanden zu haben, daß wir gemeint
sind in der Offenbarung. Es ist nicht - wie die
Kirche erzählt - ein immer wiederkehrender
Kreislauf von Krieg und Frieden. Es ist haargenau
meine aktuelle Umwelt, die Johannes
beschreibt.
Da ist die Bibel wie ein guter
Pop-Song - jeder kann sich wiederfinden.
Man muß seinen Käscher
auslegen, auch wenn einem die anderen Fische
deshalb davon schwimmen. Natürlich muß
ich erst mal gehörig mit dem Geschirr
klappern, um den Leuten das Buch nahezubringen.
Auch ich bin nicht allwissend. Ich bin zum Beispiel
kein großer Mathematiker, der all die Zahlen,
die in der Bibel stehen, genau zusammenführen
kann. Aber mich wundert es nicht, daß man
herausgefunden hat, daß das ganze Buch
zahlenmäßig codiert ist. Alles, was ich
daraus lesen kann, bestätigt mich in meinem
Wissen, daß es kurz vor knapp ist.
Was genau droht uns?
Ich denke, daß uns viele
Sachen wegbrechen werden: Das Geld, Inflation,
Börsencrash. Amerika wird eine
Naturkatastrophe nach der anderen bekommen. Da
nützt ihnen auch ihr unglaublicher Reichtum
nichts.
Bist du sicher, daß
pünktlich zum Millenium die Apokalypse
kommt?
Kein Christ darf jemals das Datum
der Apokalypse, des Jüngsten Tages, ansetzen.
Man hat aber entdeckt, daß das Armageddon
1992 begann. Davon bin auch ich überzeugt.
Denn das war das Jahr, in dem ich erstmals in der
Bibel las.
Ziehst du konkrete
Handlungsanweisungen für dein tägliches
Leben aus der Bibel?
Logisch! Ich würde nie nach
Amerika ziehen. Ich würde auch nie aus
Deutschland wegziehen. Uns allen steht eine
große Notzeit bevor, aber ich denke,
daß Deutschland das kleinere Übel ist.
Deutschland hat die Zerstörung, die der Welt
noch bevorsteht, in diesem Jahrhundert ja bereits
erlebt.
Das passierte auch anderen
Staaten. Halb Europa starb im Mittelalter an der
Pest.
Das war aber auch nicht in der Zeit
der letzten Gefechte. Bei mir zu Hause laufen rund
um die Uhr Nachrichtensender. In der Bibel steht,
es wird die Zeit kommen, da hört man die
Gerüchte von den Kriegen an anderen Orten. Im
Mittelalter wußte man in China nicht,
daß in Mitteleuropa die Pest wütet.
Heute erfahren wir alles sofort.
Nehmen wir an, deine Stimme wird
gehört, die Saat deiner Botschaft geht auf -
gibt es dann eine Rettung?
Es ist nicht meine Botschaft, es
ist die Botschaft Gottes. Es ist auch nicht meine
Saat. Ich bin nur der Knecht, der sie ausbringt.
Ich will nur eins erreichen: Keiner soll sagen
können, er habe es nicht gewußt.
Ist die Apokalypse denn
überhaupt aufzuhalten?
Eigentlich nicht.
Dann ist es vielleicht besser,
wenn es keiner weiß.
Nein! Man kann gerettet werden. Der
einzige Schlüssel ist: Erkenne diesen Gott -
und alles wird gut! Ich glaube nicht an den Tod.
Mein Glaube wird mich befähigen, den Himmel zu
sehen. Warum sterben wir Christen Tag für Tag,
wenn Christus den Tod schon vorweggenommen hat? In
der Bibel steht ganz klar, daß der Tod nur
ein Schatten ist.
Was nun - gibt es doch die
Erlösung im Diesseits?
Logo - und genau die muß ich
suchen. Ich will, daß meine Generation das
kapiert. Die Welt wie wir sie kennen geht ja nicht
unter. "Am Ende der Zeit" steht in der Bibel. Das
heißt für mich: Keine Uhr mehr,
zurückkehren in den alten Rhythmus, der uns
nicht kaputt macht. Ich glaube nicht, daß die
Greenwich-Zeit die richtige Zeit ist, daß die
Zeitzonen rechtens sind. Warum steht nirgendwo in
der Bibel, daß der Mond auch tagsüber
geschienen hat. Ich könnte genauso behaupten:
Wir haben es so toll getrieben, daß nun der
Mond sogar tagsüber scheint. In der Bibel
steht, daß in unseren Tagen die Sonne rot
untergehen wird. Früher ist die Sonne nicht
rot untergegangen.
Das kommt von den verschmutzten
Luftschichten, die die Strahlen der Abendsonne
anders brechen als früher die reine
Luft.
Ach was, ich glaube schon lange
keinem Wissenschaftler mehr. Neulich habe ich im
"PM" gelesen, daß keine Formel richtig zieht.
Alles ist ein bißchen hin- und her geschoben.
Gut. Aber was ist die
Alternative - wie sieht die Wunsch-Welt von Xavier
Naidoo aus?
Wenn es danach ginge, stünden
uns tausend Sommer bevor. Tausend Jahre.
Ich dachte, du mißtraust
unserer Zeitrechnung? Das "Ende der Zeit" bedeutet
doch vor allem: das Ende der Idee von einer linear
fortschreitenden Zeit?
Genau - keine Unterteilungen mehr.
Allenfalls natürliche, wie Sonnenaufgang und
-untergang. Das afrikanische Prinzip: "Ich komme
irgendwann." Dann könnten wir uns endlich
wieder um unsere Kinder kümmern, um unsere
Eltern. Auf jeden Fall ist es gesund, alles in
Frage zu stellen. Herzinfarkt zum Beispiel ist
nicht mehr die Haupt-Todesursache, aber die
amerikanische Kardio-Industrie arbeitet dagegen.
Spinat hat nicht mehr Eisen als anderes
Gemüse, das ist ein Komma-Fehler.
Und du trägst eine Jacke
aus Kunstfaser.
Ich prangere die
Energieverschwendung ja auch nicht an. Auch Plastik
ist aus natürlichen Rohstoffen gewonnen. Ich
mache mir die Erde untertan. Ich lasse mir von
keinem irgendetwas verbieten. Ich kann genauso
sagen: Was wir hier verbrennen, sind alles Gifte,
die durchs Ozonloch entweichen. Dann sind wir sie
für immer los. Warum soll ich mir
erzählen lassen, daß das Ozonloch giftig
ist?
In Industriegebieten entweichen
die Gifte aber nicht durchs Ozonloch, sondern
machen die Menschen krank.
Dann ist das eben unser Los.
Als leidenschaftlicher
Autofahrer bläst du mit deiner '70er Jahre
S-Klasse auch ziemlich viel Sprit in die
Luft...
Mein Benz verbraucht extrem viel
Benzin, viel mehr als moderne Autos.
Dein Benz fährt also auch
ohne Wald.
Der Wald stirbt nicht an meinem
Benz oder an deinem Benz. Wir können uns doch
nicht herausnehmen zu sagen, daß wir die Erde
kaputt machen. Das wird nicht passieren. Die Erde
wäre so oder so in diesem Zustand, weil wir in
diesem Zustand sind. Selbst das Automobil ist in
der Bibel beschrieben.
Wo genau steht das in der
Bibel?
Das steht an mehreren Stellen, in
denen die Cherubime beschrieben werden. Für
mich sind diese Engelsgeschöpfe die
Automobile. Es gibt vier Arten von diesen Wesen -
und wir haben vier Arten von Fortbewegungsmitteln
auf der Erde. Ich bin überhaupt nicht gegen
den Fortschritt. Dieser Fortschritt muß nur
anerkennen, daß es einen Gott gibt.
Der sichere Karriere-Killer
für jeden Wissenschaftler.
Edison hat auch versucht, die Bibel
zu decodieren - und er hat das Licht erfunden. Er
hat die Welt erleuchtet! Oder Benz. Das sind die
Leute, die uns den Himmel ermöglicht haben.
Das ist der Himmel. Wir leben schon im Himmel, wir
haben es nur noch nicht kapiert.
Für einen Himmel ist es
ganz schön dreckig hier.
Er muß nur ordentlich
ausgekehrt werden.
Dann mache den Anfang: Melde
deinen Benz ab und kaufe dir ein schadstoffarmes
Auto.
Nein. Durch das, was passiert, wird
- ich will es nicht hoffen - die
Weltbevölkerung so dezimiert, daß mein
Benz zum Pipifax wird. Man hat uns auch die
Nachricht verkauft, daß sich nach der
Bombardierung der irakischen Ölfelder die Erde
verdunkeln wird. Aber die Erde läßt sich
von uns nicht kaputt machen. Es sind nur Mittel,
die eingeleitet wurden, um andere Wege zu weisen.
Ohne die Umweltverschmutzung und Dutzende anderer
Sachen - wann würden wir denn
zusammenrücken in Deutschland? Wann
würden es die normalen europäischen
Bürger für nötig befinden, wieder
zusammenzukommen? Doch nur, wenn unsere Flüsse
über die Ufer treten und unsere Keller unter
Wasser stehen.
Somit ist es für dich also
nur konsequent, den Tanz auf dem Vulkan zu
beschleunigen und zehn alte Benzinschleudern zu
fahren?
Wir beschleunigen ihn, ja. Auch in
der Kunst. Die Sachen, die ich höre - Jungle
und Breakbeat - werden immer schneller. Die Spirale
zieht sich zu.
Ist das der göttliche
Plan?
Leider liegt es in unserer Natur,
uns immer weiter von Gott zu entfernen. Ich bin in
der glücklichen Situation, in jungen Jahren zu
Gott gefunden zu haben. Wenn ich mit 50 immer noch
warten würde, würde ich vielleicht wieder
vom Glauben abfallen.
Machst du es dir nicht ein
bißchen zu leicht?
Oh nein! Ich habe meinen Plan zu
erfüllen. Und der ist: Ich will meine Stadt
voranbringen. Das gelingt mir nur, wenn ich drei
Milliarden verdiene, denn so viele Schulden hat
Mannheim. Wenn ich, um dieses Geschäft
auszuüben, mal schnell von Mannheim nach
Hamburg und wieder zurück muß, dann
verbrauche ich eben viel Benzin. Das ist nicht das
Problem. Benzin ist doch gewachsene Natur.
Wie viele Millionen liegen
inzwischen auf deinem Mannheim-Sparbuch?
Meine Kohle ist doch Pipifax.
Laß mich zu einem Konzern werden, zu einem
Bill Gates - und dann messe mich daran.
Aber erst mal die Villa, den
Benz, die Yacht?
Warum soll ich mir das nicht
kaufen? Salomon hat auch Paläste gehabt. Ich
werde in meiner Wohnung, die ein paar Quadratmeter
hat, weiterhin glücklich sein. Und wenn ich
mir in meiner Stadt ein Haus kaufe, weil sich vor
meinem jetzigen Haus schon die Fans tummeln, dann
soll mir das auch gegönnt sein. Und ich werde
mir auch meine kleine Autosammlung gönnen.
Aber ich brauche keine Yacht in der Karibik.
Im "Hohelied Salomon", das von
der Kirche jahrhundertelang aus der Bibel
herauszensiert wurde, wird auch kräftig
gepoppt...
Logisch! In der Bibel steht auch:
Wenn dir im Krieg irgendwo eine Frau gefällt,
dann nimm' sie mit. Dann muß sie halt einen
Monat lang außer Haus schlafen.
Gesetzt den Fall, dein Plan
gelingt. Du verdienst die drei Milliarden und
errettest Mannheim von der Schulden-Geißel.
Meinst du, daß du dann verschont
wirst?
Ich glaube, daß es nahtlos
ineinander übergehen wird. Ich kann nur daran
arbeiten. Mir ist Gott und danach der Mensch als
seine Schöpfung heilig. Und bevor ich
irgendwelchen Tieren oder Ausländern Gutes
tue, agiere ich lieber für Mannheim.
Sieh an: Xavier, der
Rassist?
Ja. Aber ein Rassist ohne Ansehen
der Hautfarbe. Ich bin nicht mehr Rassist als jeder
Japaner das auch ist.
Ist ein Amerikaner weniger wert
als ein Mannheimer?
Natürlich nicht. Aber ich
muß als erstes sagen: Bevor ihr uns diktiert,
was wir zu tun haben, hört erst mal auf, uns
mit eurer Musik zuzuscheißen. Alles ist
amerikanisiert. Da muß ich doch wie ein
Gallier dagegen angehen, gegen diese blinde
Verherrlichung Amerikas. Gegen die Art, wie Amerika
mit der Welt umgeht. Keine Demut, keine Achtung.
Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Und als
Schwarzer kann ich das ohne irgendwelche
Hintergedanken sagen. Wie würden sich die
Mannheimer fühlen, wenn ich plötzlich
nach Monaco ziehe und dort meine Steuern
zahle?
Immerhin bekommst du dein Geld
von einem japanischen Plattenkonzern.
Deshalb will ich ja einen eigenen
Vertrieb für meine Platten aufbauen. Für
alles, was meine eigene Firma "Die Söhne
Mannheims" herausbringt. Ich werde besser sein als
jeder Vertrieb, den das Label 3p jemals hatte.
Keiner kann gegen uns angehen. Wir werden gegen die
größten Konzerne der Welt
bestehen.
Und wann wirst du - wie
angekündigt - Geld an Bedürftige
verteilen? Sieh' mal: Hier ist mein letzter
Kontoauszug. Raus mit dem Scheck!
Wenn das mit den Milliarden
geklappt hat, reden wir noch mal drüber. Was
ich sagen will: Ich will Arbeitsplätze in
Mannheim schaffen. Alleine um zu zeigen, wie
unwichtig Geld überhaupt ist. Ich bin ja nur
aufgrund meines Glaubens reich geworden. Ich finde
es einfach zum Kotzen, wenn jetzt etliche Firmen
aus dem Land flüchten und die Arbeiter, die
jahrelang zu den Produkten deutscher Firmen
gestanden haben, so zu bescheißen. Ich will
Mannheim zu einer florierenden Stadt machen, ohne
Arbeitslose, ohne Obdachlose.
Dann könntest du ja langsam
mal zumindest im Kleinen anfangen?
Natürlich, aber es wäre
falsch, das an die große Glocke zu
hängen. Wir machen einiges - wir versteigern
zum Beispiel die ganzen Preise, die mir verliehen
werden.
Auch den "Echo", den du nicht
selbst in Empfang nehmen wolltest?
Ich kann einfach nicht zu solchen
Symbolen stehen, zu diesem Goldenen Kalb. Da bin
ich lieber vorsichtig und verhindere, mit meinen
Händen diese Götzen des Erfolges zu
berühren. Ein einziges Mal war ich bei einer
Goldverleihung. Ich hatte das Gefühl, mir
würden die Hände abfallen. Noch heute
läuft mir beim Gedanken daran ein kalter
Schauer über den Rücken.
Sonst hast du keine
Probleme?
Doch! Noch wichtiger ist, daß
der Sabbat nicht mehr heilig ist. Alle Welt -
außer den Juden - feiert ihn am Sonntag, aber
es ist der Samstag.
Na und? Gott wollte doch sicher
nur, daß wir ihn an einem der sieben Tage
ehren?
Wie konnte das verrutschen? Wie
konnte man den Tag verlegen? Wenn Gott den Samstag
wollte, soll man auch den Samstag ehren. Er will
doch nicht vieles. Wenn unsere Bänder am
Samstag statt am Sonntag stillstehen würden,
dann - das schwör' ich dir - würde auf
einmal ruck zuck alles besser werden.
Und was macht Xavier Naidoo an
den Samstagen? Die Autos waschen?
Natürlich nicht. Weil aber
meine Arbeit darin besteht - da berufe ich mich auf
Jesus - diese Sache zu verkünden, mache ich
diese Arbeit, wenn es sein muß, auch am
Samstag.
Bist du rund um die Uhr
Prediger?
Nein. Ich werde nur dann zu diesem
Feuer- und Flamme-Typ, wenn man mich auf dieses
Thema anspricht. Darüber hadere ich seit
sieben Jahren mit mir. Darf ich das, reflektiert es
mein Leben? Vor Gott habe ich jeden Tag wieder
Angst. Ich will ja auch keine Institution für
Glaubensfragen werden.
Nimmt dich eigentlich dein
Label-Chef Moses Pelham ernst?
Ich bin mir sicher, daß auch
hier bei 3p und bei der Plattenfirma immer wieder
Zweifel herrschen. Doch schon bevor ich meine erste
Platte veröffentlichte, wußte ich: Die
muß in die Millionen gehen, sonst bin ich
unzufrieden. Jetzt stehen wir bei über 700.000
- und ich bin unzufrieden.
Wann hast du eigentlich zum
letzen Mal gelacht?
Vorhin. Ich lache eigentlich die
ganze Zeit. Auf dein Konto bringt dir Weinen
natürlich mehr. Jeder arme, geknechtete Mensch
hat mehr Chancen auf das Heil als ein Reicher. Und
außerdem lachen wir doch meist auf Kosten
anderer.
Zum Beispiel auf Kosten deiner
Freundin. Wenn du von "Liebe" singst, meinst du
fast immer die Liebe zu Gott. Wird deine Freundin
nicht manchmal eifersüchtig auf den
Herrn?
Nun ja, es ist ja auch immer wieder
mal ein Titel für sie dabei.
Teilt sie die deinen
Glauben?
Da bin ich sehr rigoros. Ich
würde sogar meine Mutter stehen lassen. Alle.
Meine Freundin fragt sich sicher jedes Jahr, ob sie
mit so einem Typen zusammen sein muß. Wenn
ich von meiner Arbeit nach Hause komme, ziehe ich
mich zurück. Andere Leute würden dann mit
ihrer Freundin ins Bett gehen. Ich bleibe im
Wohnzimmer sitzen und lese in der Bibel. Und in
solchen Momenten darf man mich nicht stören.
Da kann man mich nicht fragen, ob ich irgendeine
Überweisung getätigt habe.
Prangerst du es an, wenn ein
Mensch einen anderen körperlich verletzt?
Beispiel: Moses brach Stefan Raabs
Nasenbein?
Ich prügel mich auch rum. Aber
ich hatte bislang keine Streiterei, nach der ich
meinem Gegenüber nicht wieder hinterher die
Hand reichen konnte. Als Kind waren mir viele
andere Kinder rhetorisch unterlegen. Aber ich
bereue wenigstens, daß ich sie
niederdiskutiert habe. Jeder erntet das, was er
sät. Das erging auch Moses nicht
anders.
Aber im Gegensatz zu ihm erntest
du schlimmste Magenprobleme, Krämpfe und
Schmerzen. Manchmal, wenn du vor einem Mikrofon
stehst, weiß man nicht: singt er nun - oder
hat er wieder einen bösen
Magenkrampf?
Kein Mensch kann sich vorstellen,
welche Schmerzen ich auf der Bühne habe. Ein
Gefühl, als hätte ich Hodenkrebs. In
Hotels gibt es manchmal keinen Platz mehr, an den
ich mich hinlegen kann, weil ich vor Schmerzen
alles naßgeschwitzt habe.
Und was sagen die
Ärzte?
Ich gehe nicht zu Ärzten.
Nicht mehr. Ich weiß, daß es kein
Krebs, sondern die Pilzkrankheit Candidose ist. Ich
weiß, was ich nicht essen darf. Ich
weiß, daß ich eigentlich nur Wasser
trinken darf. Ich schrecke nicht zurück vor
Leid. Ich lese oft in der Bibel, daß es
besser ist zu weinen als zu lachen. Vielleicht ist
es in einem Jahr alles vorbei. Wenn mein Glaube
Berge versetzen kann, werde ich vielleicht nie
wieder krank. Es ist mein krankes Hirn, das mir
sagt: "Halte die Schmerzen aus."
Peter von Stahl
Für
alle auf dieser Site archivierten Texte gilt:
Abdruck oder Weiterverbreitung jeglicher Art
(Print, Funk, Online etc.) ausnahmslos nur mit
schriftlicher Genehmigung von Peter
Wagner/vonstahl. Veröffentlichungen - auch
auszugsweise - ohne ausdrückliche vorherige
Genehmigung durch Peter Wagner/vonstahl werden
zivilrechtlich verfolgt! Fragen Sie einfach bei uns
per
e-mail
oder telefonisch (040-528 762 36) nach unseren
Konditionen.
Zurück zum
Seitenanfang Zurück zur
Archivübersicht
|