Zurück
Deutschland sucht den
Superstar
Menschenopfer
für die Unterhaltungsgötter
Mit CSU-ähnlichem
Wahlergebnis gewinnt der 19-Jährige
Sendenhorster Alexander Klaws die Wahl zu
Deutschland sucht den Superstar" - und auch
sonst gibt es fast nur
Gewinner
Über 70 Prozent der
TV-Zuschauer stimmten am Samstagabend nicht
für die halbnackt aufstampfende Stader
Sängerin Juliette sondern für das
westfälische Schumi-Double Alexander. 70
Prozent! Wahnsinn! Ein Wahlergebnis, wie es im
echten Leben nur wenigen vergönnt ist, und man
muss ganz schön weit raus aufs Land fahren, um
solche Zahlen zu finden. Bis nach Lauf an der
Pegnitz zum Beispiel, wo der CSU-Bürgermeister
Rüdiger Pompl mit 70 Prozent der Stimmen
unlängst im Amt bestätigt wurde. Was
aufmerksame Beobachter des Phänomens DSDS
wiederum in ihrer Ansicht bestätigt, das das
wahre Erfolgsgeheimnis der Sendung in der strikten
Beachtung der Lebenspräferenzen nicht der
für den Werbemarkt konstruierten Zielgruppe
(jung, erfolgreich, kosmopolitisch, konsumstark)
sondern der tatsächlich vor dem TV-Gerät
sitzenden Zuschauer steckt. Mit Ausnahme der
großstädtischen und stets
entertainmentbereiten Trash-Freunde, die nach
Guildo Horn oder Big Brother nun eben DSDS-Partys
feiern, sitzt die Mehrheit der zehn bis 14
Millionen Superstar-Seher genau dort, wo eben die
Mehrheit der Deutschen sitzt - in Orten unter
100.000 Einwohner. Orte wie Sendenhorst oder
Stade.
Auch wenn sich die vereinte
Kritikerschaft des bürgerlichen deutschen
Groß-Feuilleton an DSDS längst wund
geschrieben hat, juckt das die Fans der Show kein
bisschen. Ute Biernat, als
Geschäftsführerin der Bertelsmann-Tochter
Grundy Light Entertainment oberste Produzentin der
Sendung, ist denn auch stolz darauf, mit der
Pippelidee, Wir singen euch was vor', die
Nation in Wallung gebracht" zu haben. Das ist
erstaunlich, kann aber nicht wirklich erschrecken.
Wenn hier ein Gütersloher Unterhaltungskonzern
mit einer Pippelidee, umgesetzt von
Pippelkandidaten in einer (von der
Studio-Dekoration bis hin zu den Logos und
Trailern) unglaublich preiswert hergestellten
Pippel-Produktion samt ihrer Pippel-Moderatoren und
Pippel-Juroren eine derartige Gelddruckmaschine in
Gang setzen kann, muss sich jeder selbst an die
Nase fassen: Sind nicht wir alle ein bisschen
Pippel?
Nun, da der Künstler
selbst in das Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit eingetreten ist, hat auch das
Hause Bertelsmann die Lektion gelernt, die der
ehemalige Chef Thomas Middelhoff vor Jahren seinem
Unternehmen lehren wollte: Content is King, aber
nur, wenn dahinter die lückenlose
Verwertungskette geschmiedet wird, die Kaskade von
crossmedialen Rechteauswertungsformen
plätschert, das Feuerwerk der
Kapitalisierungsideen abbrennt. Mit DSDS wurde in
der Geschichte der deutschen Unterhaltungsindustrie
das erste Mal eine Show-Idee tatsächlich bis
ins letzte Vermarktungsglied durchdekliniert: Von
den 64.500 Euro für 30 Sekunden für Spots
in den Werbeblöcken, über mindestens eine
halbe Million Euro in jeder Sendung aus den
Telefongebühren der abstimmenden Zuschauer (49
Cent pro Anruf), die mehr als 700.000 von der
Bertelsmann-Tochter BMG verkauften
Superstar"-CDs United", die Massen von
Fanartikeln, die über den Internet-Shop auf
www.rtl.de abgesetzt wurden, bis hin zu den gut
200.000 Tickets zu je 50 Euro für die 18
Konzerte der ab Mai laufenden Deutschland-Tournee.
Auch wenn Fremantle Media, die britische
Produktionsfirma des
Idol"-Formatpatentinhabers Simon Fuller, 20
Prozent aller Erlöse kassiert, ist DSDS eine
Win-Win-Situation für (fast) alle Beteiligten.
Sieger Alexander bekommt mindestens das
Jahresgehalt eines Angestellten"
(Grundy-Chefin Biernat), Juroren wie Moderatoren
sicher etwas höhere Gehälter", und
auch ein Dieter Bohlen freut sich über die 40
Cent, die in seiner Kasse jedes Mal klingeln, wenn
seine DSDS-Single We Have A Dream" irgendwo
im Radio läuft. Und wenn die Melodie auf einem
Handy klingelt, gibt's ein paar Cent
obendrauf.
Natürlich wird sich in
wenigen Tagen niemand mehr an Ausgeschiedene wie
Nektarios, Vanessa, Nicole, Daniel K. und Daniel L.
Andrea, Gracia, Kathrin, Peter, Michael oder Andrea
erinnern, doch das sind vergleichsweise geringe
Menschenopfer, gemessen an dem Spaß, den der
Rest der DSDS-Blase inklusive der Zuschauer hatte.
Und auch die von sinkenden Auflagen gebeutelten
Teen-Gazetten können wieder aufatmen: Nach
fast schon stacheligen Stars wie Pink, Eminem oder
Avril Lavigne hat die Branche mit Alexander oder
Juliette endlich wieder nette, brave und flauschige
Akteure, perfekt designt für das, was ein
langjähriger Bravo"-Chefredakteur als
Erfolgsgeheimnis Kuschelidentifikation"
bezeichnet hat - der Superstar" zum Anfassen.
Letzteres trifft jetzt sogar
auf die Seele der Show, Dieter Bohlen zu. Am Ende
des Finales, als man sich in der Jury gegenseitig
versicherte, wie sehr man seit der ersten Show am
9. November 2002 doch zu einer echten Familie
zusammengewachsen sei, kniff Bohlen seinem
Nebenmann Thomas Bug mal wieder ins Heck und
bekannte, mit ihm mehr Zeit verbracht zu haben als
mit seiner Ex-Frau Verona Feldbusch. Und das ist
nur die Hälfte der Wahrheit -der Dieter durfte
den Thomas auf der Jurorencouch auch noch deutlich
häufiger anfassen als die Feldbusch
während der gesamten Ehezeit.
Vieles bei DSDS war wie im
richtigen Leben - wo ja es ja auch primär
darum geht, trotz allen Mittelmaßes noch ein
wenig Spaß zu haben. In diesem Sinne waren
auch die Moderatoren perfekt ausgewählt:
Michelle Hunziker,
die abgetragene Ex eines
echten Superstars (Eros Ramazotti), um die
Hüften zwar ein bisschen aus der Form geraten,
aber obenrum noch recht festfleischig und durchaus
hübsch anzusehen. Ausgestattet mit einer durch
und durch blonden Sprachgewalt, signalisierte
Michelle ihren Leidensgenossinnen draußen an
den Bildschirmen: Auch wenn ich die Hälfte
aller Ansagen total verhunziker, ist es doch
zumindest niedlich, wie es schaffte, die dunklen
Lücken zwischen zwei Gedanken mit
moussierendem Redefluss zu füllen. Und wenn
auch dies ihr mal nicht gelang, war ja ihr
Moderatorenpartner Carsten Spengemann stets zur
Stelle, der als ehemaliger Soap-Darsteller seinen
Text wenigstens halbwegs flüssig vom
Teleprompter ablesen konnte.
Ja, DSDS, das war die
große Schau der kleinen Talente, die
Mini-Playback-Show für Heranwachsende von
zwölf bis Ende fünfzig. Der erste
Superstar" ist gefunden, das ist fast schon
schade, aber wenn der kleine Kater nach der
Final-Party verflogen ist, geht es ja schon bald
wieder weiter mit dem Casting für die
nächste Staffel. Der Weg ist das Ziel, sprach
einer der großen Philosophen der Vorzeit.
Einer seiner würdigen Nachfolger im 21.
Jahrhundert knüpft nahtlos daran an: "Du musst
es unbedingt wollen! Der Wille ist superwichtig."
Sprach Dieter Bohlen, Chef-Philosoph von RTL. Mit
dreieinhalb-Jahres-Vertrag beim Sender.
© copyright
2003 Peter Wagner, alle Rechte
vorbehalten
|