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Essay in der Financial Times Deutschland 10.03.2003

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Deutschland sucht den Superstar

Menschenopfer für die Unterhaltungsgötter

Mit CSU-ähnlichem Wahlergebnis gewinnt der 19-Jährige Sendenhorster Alexander Klaws die Wahl zu „Deutschland sucht den Superstar" - und auch sonst gibt es fast nur Gewinner

Über 70 Prozent der TV-Zuschauer stimmten am Samstagabend nicht für die halbnackt aufstampfende Stader Sängerin Juliette sondern für das westfälische Schumi-Double Alexander. 70 Prozent! Wahnsinn! Ein Wahlergebnis, wie es im echten Leben nur wenigen vergönnt ist, und man muss ganz schön weit raus aufs Land fahren, um solche Zahlen zu finden. Bis nach Lauf an der Pegnitz zum Beispiel, wo der CSU-Bürgermeister Rüdiger Pompl mit 70 Prozent der Stimmen unlängst im Amt bestätigt wurde. Was aufmerksame Beobachter des Phänomens DSDS wiederum in ihrer Ansicht bestätigt, das das wahre Erfolgsgeheimnis der Sendung in der strikten Beachtung der Lebenspräferenzen nicht der für den Werbemarkt konstruierten Zielgruppe (jung, erfolgreich, kosmopolitisch, konsumstark) sondern der tatsächlich vor dem TV-Gerät sitzenden Zuschauer steckt. Mit Ausnahme der großstädtischen und stets entertainmentbereiten Trash-Freunde, die nach Guildo Horn oder Big Brother nun eben DSDS-Partys feiern, sitzt die Mehrheit der zehn bis 14 Millionen Superstar-Seher genau dort, wo eben die Mehrheit der Deutschen sitzt - in Orten unter 100.000 Einwohner. Orte wie Sendenhorst oder Stade.

Auch wenn sich die vereinte Kritikerschaft des bürgerlichen deutschen Groß-Feuilleton an DSDS längst wund geschrieben hat, juckt das die Fans der Show kein bisschen. Ute Biernat, als Geschäftsführerin der Bertelsmann-Tochter Grundy Light Entertainment oberste Produzentin der Sendung, ist denn auch stolz darauf, „mit der Pippelidee, ‚Wir singen euch was vor', die Nation in Wallung gebracht" zu haben. Das ist erstaunlich, kann aber nicht wirklich erschrecken. Wenn hier ein Gütersloher Unterhaltungskonzern mit einer Pippelidee, umgesetzt von Pippelkandidaten in einer (von der Studio-Dekoration bis hin zu den Logos und Trailern) unglaublich preiswert hergestellten Pippel-Produktion samt ihrer Pippel-Moderatoren und Pippel-Juroren eine derartige Gelddruckmaschine in Gang setzen kann, muss sich jeder selbst an die Nase fassen: Sind nicht wir alle ein bisschen Pippel?

Nun, da der Künstler selbst in das Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit eingetreten ist, hat auch das Hause Bertelsmann die Lektion gelernt, die der ehemalige Chef Thomas Middelhoff vor Jahren seinem Unternehmen lehren wollte: Content is King, aber nur, wenn dahinter die lückenlose Verwertungskette geschmiedet wird, die Kaskade von crossmedialen Rechteauswertungsformen plätschert, das Feuerwerk der Kapitalisierungsideen abbrennt. Mit DSDS wurde in der Geschichte der deutschen Unterhaltungsindustrie das erste Mal eine Show-Idee tatsächlich bis ins letzte Vermarktungsglied durchdekliniert: Von den 64.500 Euro für 30 Sekunden für Spots in den Werbeblöcken, über mindestens eine halbe Million Euro in jeder Sendung aus den Telefongebühren der abstimmenden Zuschauer (49 Cent pro Anruf), die mehr als 700.000 von der Bertelsmann-Tochter BMG verkauften „Superstar"-CDs „United", die Massen von Fanartikeln, die über den Internet-Shop auf www.rtl.de abgesetzt wurden, bis hin zu den gut 200.000 Tickets zu je 50 Euro für die 18 Konzerte der ab Mai laufenden Deutschland-Tournee. Auch wenn Fremantle Media, die britische Produktionsfirma des „Idol"-Formatpatentinhabers Simon Fuller, 20 Prozent aller Erlöse kassiert, ist DSDS eine Win-Win-Situation für (fast) alle Beteiligten. Sieger Alexander bekommt mindestens das „Jahresgehalt eines Angestellten" (Grundy-Chefin Biernat), Juroren wie Moderatoren sicher etwas höhere „Gehälter", und auch ein Dieter Bohlen freut sich über die 40 Cent, die in seiner Kasse jedes Mal klingeln, wenn seine DSDS-Single „We Have A Dream" irgendwo im Radio läuft. Und wenn die Melodie auf einem Handy klingelt, gibt's ein paar Cent obendrauf.

Natürlich wird sich in wenigen Tagen niemand mehr an Ausgeschiedene wie Nektarios, Vanessa, Nicole, Daniel K. und Daniel L. Andrea, Gracia, Kathrin, Peter, Michael oder Andrea erinnern, doch das sind vergleichsweise geringe Menschenopfer, gemessen an dem Spaß, den der Rest der DSDS-Blase inklusive der Zuschauer hatte. Und auch die von sinkenden Auflagen gebeutelten Teen-Gazetten können wieder aufatmen: Nach fast schon stacheligen Stars wie Pink, Eminem oder Avril Lavigne hat die Branche mit Alexander oder Juliette endlich wieder nette, brave und flauschige Akteure, perfekt designt für das, was ein langjähriger „Bravo"-Chefredakteur als „Erfolgsgeheimnis Kuschelidentifikation" bezeichnet hat - der „Superstar" zum Anfassen.

Letzteres trifft jetzt sogar auf die Seele der Show, Dieter Bohlen zu. Am Ende des Finales, als man sich in der Jury gegenseitig versicherte, wie sehr man seit der ersten Show am 9. November 2002 doch zu einer echten Familie zusammengewachsen sei, kniff Bohlen seinem Nebenmann Thomas Bug mal wieder ins Heck und bekannte, mit ihm mehr Zeit verbracht zu haben als mit seiner Ex-Frau Verona Feldbusch. Und das ist nur die Hälfte der Wahrheit -der Dieter durfte den Thomas auf der Jurorencouch auch noch deutlich häufiger anfassen als die Feldbusch während der gesamten Ehezeit.

Vieles bei DSDS war wie im richtigen Leben - wo ja es ja auch primär darum geht, trotz allen Mittelmaßes noch ein wenig Spaß zu haben. In diesem Sinne waren auch die Moderatoren perfekt ausgewählt: Michelle Hunziker,

die abgetragene Ex eines echten Superstars (Eros Ramazotti), um die Hüften zwar ein bisschen aus der Form geraten, aber obenrum noch recht festfleischig und durchaus hübsch anzusehen. Ausgestattet mit einer durch und durch blonden Sprachgewalt, signalisierte Michelle ihren Leidensgenossinnen draußen an den Bildschirmen: Auch wenn ich die Hälfte aller Ansagen total verhunziker, ist es doch zumindest niedlich, wie es schaffte, die dunklen Lücken zwischen zwei Gedanken mit moussierendem Redefluss zu füllen. Und wenn auch dies ihr mal nicht gelang, war ja ihr Moderatorenpartner Carsten Spengemann stets zur Stelle, der als ehemaliger Soap-Darsteller seinen Text wenigstens halbwegs flüssig vom Teleprompter ablesen konnte.

Ja, DSDS, das war die große Schau der kleinen Talente, die Mini-Playback-Show für Heranwachsende von zwölf bis Ende fünfzig. Der erste „Superstar" ist gefunden, das ist fast schon schade, aber wenn der kleine Kater nach der Final-Party verflogen ist, geht es ja schon bald wieder weiter mit dem Casting für die nächste Staffel. Der Weg ist das Ziel, sprach einer der großen Philosophen der Vorzeit. Einer seiner würdigen Nachfolger im 21. Jahrhundert knüpft nahtlos daran an: "Du musst es unbedingt wollen! Der Wille ist superwichtig." Sprach Dieter Bohlen, Chef-Philosoph von RTL. Mit dreieinhalb-Jahres-Vertrag beim Sender.

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